top of page

FOLLOW ME:

  • Facebook Clean Grey
  • Twitter Clean Grey
  • Instagram Clean Grey

RECENT POSTS: 

SEARCH BY TAGS: 

Pilar Colino

  • Jacqueline Jakobi
  • 15. Apr. 2016
  • 6 Min. Lesezeit

Der folgende Text besteht aus Ausschnitten der Eröffnungsrede der Vernissage:

Pilar Colino ist gebürtige Spanierin. Sie wurde in Castellón, in Valencia geboren und studierte dort an der Universitat de Valencia Jura. Seit 1999 ist sie als frei schaffende Künstlerin tätig. Colino hat die Abendschule und Meisterkurse bei Markus Lüpertz, Hermann Nitsch sowie den Zhou Brothers besucht. Colino ist Mitglied verschiedener Kunstvereine und stellt regelmäßig national und international aus.

Überwiegend arbeitet sie mit mixed media (Mischtechnik), den Techniken, Siebdruck und Fotografie. Die Acrylfarben trägt sie mit einem Schwamm auf die Leinwand auf.

Ihre Arbeiten bilden Schichten und verschmelzen mit den Fotografien, von denen Colino teilweise auch nur die Pigmente des Fotos auf den Druck reibt (Nitrofrottage) oder eben druckt. So arbeitet sie das, was ihr von dem Motiv wichtig ist, in das Bild ein.

Colino arbeitet aber auch kleinformatiger. In diesen Arbeiten kombiniert sie ebenfalls verschiedene Techniken und Materialien: Zum Beispiel zartes Japanpapier mit pergamentartigem Wachs, das sich wie ein Schleier über das eigentliche Motiv legt.

Historischer Abriss: Siebdruck

Andy Warhol ist das vielleicht uns am geläufigste Beispiel, wenn es um das Medium Siebdruck geht. Warhol wollte, dass moderne Kunst von allen Menschen gleich genossen werden kann. Er nutze den Siebdruck, um die Kunst als Massenprodukt zu vermarkten; für seine kommerziellen Zwecke. In seiner „Factory“ stellte er die Motive seiner Kunst in hohen Stückzahlen her.

Doch schon lange vor Warhol gab es historische Zeugnisse: in prähistorischen Höhlen fand man Reste von Schablonen-Verwendungen und in Asien verwendete man ca. seit dem 6. Jahrhundert Schablonen zur Gestaltung von Stoffen. Der Siebdruck entwickelte sich also aus dem Schablonendruck, der schon lange vor unserer Zeitrechnung existierte.

In den 60er-Jahren erlebte der Siebdruck also seinen Höhepunkt: mit seiner Nähe zur Werbeästhetik, den intensiven Farben und der einfachen Einbindung von Fotos, war er das perfekte Medium für die Pop-Art, um scheinbar banale Alltags- und Gebrauchsgegenstände als Kunstobjekt zu reproduzieren.

Auch Sigmar Polke experimentierte mit dem Siebdruck. Ihm ging es auch nicht um die Reproduktion bekannter Fotomotive, sondern um die Zerstörung der Gewissheit und der Entblößung des Mediensystems. Polke nahm Bilder aus Nachrichtenmagazinen, Bilder aus Punkten zusammengesetzt waren, vergrößerte sie so stark, sodass die pointilistischen Motive ihren Zusammenhang verloren. Dann setzte er händisch neue Punkte ins Bild und manipulierte die Aussage des ursprünglichen Bildes. Er veränderte alle Anhaltspunkte.

Die Arbeiten von Pilar Colino sollen unter folgendem Aspekt betrachtet werden: Welche Wahrheit kann uns vermittelt werden?

Laudatio

Colino geht es in ihren Arbeiten nicht um eine technisch perfekte Reproduktion der Wirklichkeit, um das Wiedergeben von Alltagsgegenständen. Ihr geht es auch nicht darum, den Betrachter in die Irre zu führen und ihm alle Anhaltspunkte zu nehmen.

Ihre Arbeiten zeichnen sich durch Linien und Formen aus den von ihr bearbeiteten Fotografien, die sie von der Phrix-Fabrik gemacht hat. Überhaupt ist die Phrix-Fabrik eine große Inspiration für ihre graphischen Serien.

In der heutigen Schau sind neben Bildern zu Naturlandschaften nämlich viele Werke zur Phrix-Fabrik zu sehen.

Pilar Colino ist seit sie die Phrix zum ersten Mal gesehen hat, sehr von dem Gebäude beeindruckt. So sehr, dass die Fabrik sie dazu inspirierte, viele Motive mit starkem Bezug zur alten Industriekultur in ihren Werken zu verarbeiten.

Colino weiß die verlassenen Räume der alten Cellulosefabrik in Szene zu setzen und die besondere Schönheit von Industriearchitektur aufzuzeigen. Mit verschiedenen Techniken, wie der Serigrafie (Siebdruck) oder der Frottage, hat Pilar Colino viele Jahre lang die industriellen Motive bearbeitet und sie entlockt in ihren Arbeiten der Industrieruine fast etwas Zartes. Es ist die Mischung aus Industrie und einem verzauberten Licht, das eine so große Faszination auf den Betrachter ausübt.

Ihre Bilder sind Fragmente, kleine Fragmente einer Geschichte – einer Geschichte der Phrix-Fabrik.

Die Motive wiederholen sich und zeigen Fragmente einer Geschichte. Colino will nicht die ganze Geschichte erzählen, weil es auch keine komplette Geschichte gibt, Die Motive setzt jeder selbst zu seiner Geschichte zusammen.

Colinos Malerei ist aus der Farbe heraus gedacht. Viele Farbschichten überlagern sich und kontrastieren mit Linien; einige schmal wie Kabel oder andere auch dick wie Rohre. Es ist der Kontrast von Linie und Fläche, Abstraktion und Motivik, Industrie- und Naturlandschaft, mit denen Colino ihre Bilder gestaltet.

Die breiten dunklen Rohre oder Bänder, die sich durch das Bild schieben scheinen, wirken bedrohlich. Vor allem, wenn sie die verlassenen Hallen des Gebäudes durchkreuzen oder sich um die Bäume schmiegen.

An manchen Stellen aber scheint ein geheimnisvolles Licht oder ein heller Lichtstrahl die Tiefen der phantastischen Landschaften zu durchleuchten. An anderen Stellen treffen bunte, strahlend leuchtende Farben auf die gedruckten Motive.

Durch das Licht und die Übermalungen der verschiedenen Lasuren und Farbaufträge entsteht der Eindruck einer Tiefe, einer Unermesslichkeit. Die Grenzen des Bildraumes scheinen aufgehoben zu sein. Der Raum wird grenzenlos.

Colinos Arbeiten sind durchweg abstrakt und man kann keine konstante Erzählung finden; wie ich ja schon gesagt hatte: Es geht nicht darum, DIE Geschichte zu erzählen. Pilar Colino schafft vielmehr assoziative Bilder.

Teilweise schafft sie starke Perspektiven, die dem Betrachter seinen genauen Standpunkt nicht vermitteln – im Gegenteil: er bleibt Rat oder auch Rast-los zurück. Denn wo steht man in diesen fantastischen Welten? Es sind Traumwelten, Fantasiewelten in die uns Colino in ihren Arbeiten entführt. Alles spielt sich in unserer Phantasie ab. Und die Geschichte, die sie mit den sich wiederholenden Motiven erzählt, setzt der Betrachter eben auch subjektiv – nach seinem Empfinden, nach seinem Wissen zusammen.

Einzig Motive, wie ein Baum oder eine Fabrikhalle, lassen eine Orientierung zu. An manchen Stellen arbeitet Colino mit einem Bild im Bild. Alte Drucke werden in neue Arbeiten integriert. Der Betrachter findet zunächst die Realität nicht wieder. Alt und Neu, Vergangenes und Aktuelles, vermischen sich nämlich.

Colino ist keine Geschichtenerzählerin, sondern sie zeigt in ihren Arbeiten, dass Geschichte ein Prozess ist und sich die Geschichte in Bewegung findet.

Colinos Bilder haben einen assoziativen Charakter. Manche Bilder zeigen Landschaften, andere erinnern den Betrachter an etwas Gesehenes und rufen Erinnerungen hervor und lösen letztlich dann doch wieder jeden Bezug auf.

Die Bezüge lösen sich auf, so wie sich die Farben, die Formen, die Motive und Strukturen in den Bildern unter neuen Motiven und unter neuen Farben aufzulösen scheinen und sich in neue, nicht gesehene Bilder verwandeln.

Ein jeder Betrachter empfindet durch seine bisherigen Erfahrungen, sein bisher gelebtes Leben die Bilder anders und interpretiert sie auf seine eigene Art.

Man kann in Colinos Bilder regelrecht hineintauchen, ihnen entschwinden. Und neben den harten Linien, den dunklen Balken, sehen wir einen Farbhauch, einen Lichtstrahl oder einen Farbschleier, zart und lebendig. Die Rohre sind an manchen Stellen bedrohlich, an anderen Stellen glaubt man, einen Lichtstrahl zu sehen.

Die Arbeiten sind voller Kontraste: bedrohlich und ruhig; grell und zart.

Wir sehen Teile einer weiten Welt, die immer wieder durch Rohre und Stränge durchschnitten, zerteilt werden. Sie kommen aus dem Nichts, sie verlieren sich in dem Nichts und scheinen sich endlos über den Bildrand hinaus fortzusetzen.

Wir sehen Teile einer Welt, die einst existierte und die es bald in dieser Form nicht mehr geben wird oder jetzt sogar schon gar nicht mehr gibt.

Eigentlich wollte Colino nämlich nach ihrer immensen Auseinandersetzung mit Maschinen und alten industriellen Anlagen zurück zur Natur. Sie wollte sich nur dem Leben, dem Wachsenden widmen. Colino wollte sich in der heutigen Schau eigentlich der Natur zuwenden, weil sie nach jahrelanger Auseinandersetzung mit Wracken, verlassenen Orten, nach lebhaften, nach wachsenden Motiven sehnte.

Colino wollte aber ihre Arbeitstechnik beibehalten, sich zwar inhaltlich weiter entwickeln und bei ihren Motiven den starken und ausschließlichen Bezug zur Industriekultur verlassen, doch ihrem alten Stil treu bleiben. Nach den vielen kaputten Maschinen, der inzwischen nutzlosen Technik und den übrig gebliebenen Resten einer industriellen Produktionsanlage, hatte sie das Bedürfnis zur Natur zurückzukehren. Colino wollte das Destruktive, das sie in den Räumen gesehen und verarbeitet hatte, hinter sich lassen und sich mit etwas, das wächst und gedeiht, beschäftigen.

Sie wollte mit den inzwischen nicht mehr ansehnlichen Resten der Vergangenheit, wir können auch mit dem Tod sagen, abschließen und sich wieder mit etws Lebendigen und Positiven beschäftigen.

Deshalb kam sie zu den Baummotiven, die sie für etwas Positives haben, die vital sind.

Bei ihren weiteren Arbeiten mit Motiven aus der Natur merkte sie aber, dass die Phrix sie nicht losließ. Sie war weiterhin da und beschäftigte sie noch.

Colino musste sich eingestehen, dass auch die Phrix ein Zeichen einer lebhaften Kultur ist – wenn auch einer einstigen lebhaften Industriekultur.

Auch die Phrix lebte früher – auch wenn man das heute nicht mehr zu sehen vermag.

Es ist wie mit den alten Ruinen oder Tempeln: die alten Bauwerke sind noch sichtbar, aber sie werden von der Natur überwuchert. Und so fühlt sich auch Colino: sie widmet sich einem neuen Thema, der Landschaft, das aber das alte Motive, eben die Phrix, nicht einfach auslöscht, sondern dieses überwuchert, es integriert. Es entsteht ein Zusammenspiel beider.

Die alte Fabrik ist noch da, aber die einst vertriebene Natur ist zurückgekehrt und macht der Phrix ihren Platz streitig. Für Colino wird also die Natur die Phrix niemals beseitigen, sondern allenfalls überwuchern und überdecken und vielleicht wird die Fabrik einmal nicht mehr sichtbar sein.

Wenn dann die Natur den Platz der Phrix wieder eingenommen hat und auf dem einstigen Fabrikgelände nur noch Bäume stehen, wenn das Existierende bald nur noch eine Erinnerung ist und das Gesehene bald nur noch eine Erinnerung ist, dann kann man zwischen ihnen, den Bäumen, herumgehen und ihnen von vergangenen Zeiten erzählen und sagen:

„Sag’ ich’s Euch, geliebte Bäume“ (Johann Wolfgang von Goethe)

Jacqueline Jakobi Millán M.A.

Kunsthistorikerin und Romanistin

 
 
 

© 2016 by Kunst -voll. Proudly created with Wix.com

  • Instagram Black Round
bottom of page